
[Rezension] David Wagner – ALLE JAHRE WIEDER
ALLE JAHRE WIEDER ist nicht nur der Titel eines beliebten Weihnachtsliedes. Es könnte auch so treffend als Überschrift für lang gepflegte Weihnachtstraditionen, die wir wie selbstverständlich und ohne zu hinterfragen Jahr für Jahr zelebrieren, gelten. Eine (vielleicht sogar nur minimale) Änderung im gewohnten Ablauf wird da schon als drastische Störung empfunden und hätte das Potential, massive Familiendramen auszulösen…
Kommst du Weihnachten nach Hause? Und was wünschst du dir? Mit diesen Fragen beginnt ein Telefongespräch zwischen einem Vater und seiner erwachsenen Tochter. Humorvoll und leichtfüßig diskutieren die beiden, wer wo mit welchem Elternteil das Fest verbringt und wie Weihnachten heute überhaupt gefeiert werden soll: mit geschmückten Baum oder ohne? Vegetarisch oder doch mit Braten? Mit Jingle Bells oder Stille Nacht, Christkind oder Weihnachtsmann? So wie früher oder ganz anders? In berührendes Nachdenken darüber, was Weihnachten ausmacht und immer wieder besprochen werden muss.
(Inhaltsangabe dem Klappentext des Buches entnommen!)
„Kommst du Weihnachten nach Hause?“
So startet dieser charmante Dialog. Welches erwachsene Kind hat diese Frage von einem Elternteil nicht schon gestellt bekommen? Manchmal habe ich diese Frage regelrecht gefürchtet. Da war ich selbst bereits in einem Alter, indem ich eine Familie hätte gegründet haben können und wo ein enger Freundeskreis sich etabliert hatte. Da würde manche*r von uns gerne die Chance erhalten, eigene Weihnachtstraditionen zu kreieren und zu festigen. Und gleichzeitig gibt es da dieses Dürsten nach der Vergangenheit, wo man mit glänzenden Kinderaugen zuerst den Christbaum und dann die Geschenke bestaunt hat, und von dem bis heute das Gefühl, dass früher alles besser war, zurückgeblieben ist. Ich weiß sehr wohl, dass früher nicht alles besser war, aber die Empfindung fühlt sich gut an.
David Wagner lässt Vater und Tochter miteinander all diese Fragen diskutieren. Obwohl: Sie diskutieren nicht, vielmehr entspinnt sich ein unaufgeregtes Gespräch über „heute“ und „damals“. Da werden Erinnerungen über vergangene Weihnachtsfeste ausgetauscht, die beide teilweise recht unterschiedlich wahrgenommen haben. Da geht es durchaus sehr viel um Traditionen aber auch um die Erforschung der eigenen Wurzeln. Es gab viele, viele schöne weihnachtliche Momente. Doch sie können nicht über die Krisen und Fehlentscheidungen im Leben hinwegtäuschen und lassen – manchmal nur in einer kleinen Bemerkung – Melancholie in diesem Dialog zweier Generationen anklingen.
„Wie passend!“ dachte ich, als ich dies zwischen den Zeilen erspürte. Melancholie und Weihnachten gehören für mich zusammen. Dabei ist es für mich durchaus eine sehnende aber keine erdrückende Melancholie und sorgt dafür, dass mein Weihnachten nie grell und bunt wird, vielmehr zart und still und darum so schön.
Ebenso still gestaltet sich dieses Telefonat: In der Vergangenheit lief nicht immer alles glatt zwischen Vater und Tochter, aber beide haben dies scheinbar bewältigt und einen wunderbaren Weg gefunden, miteinander umzugehen. Aus ihrem Dialog ist eine Menge Respekt, reichlich Toleranz und ganz viel Liebe herauslesbar. Das vorwurfsvolle Begleichen alter Rechnungen ist nicht nötig, da sie mit sich und miteinander im Reinen sind.
So endet dieses Telefonat auch mit der (von mir erwarteten) Antwort auf die Eingangsfrage:
„Klar komme ich. Ist doch Weihnachten.“
erschienen bei edition chrismon / ISBN: 978-3960383215
APHO·RI·SI·A·KUM…

[Noch ein Gedicht…] August Heinrich Hoffmann von Fallersleben – LIED DES NUSSKNACKERS
König Nussknacker, so heiß ich.
Harte Nüsse, die zerbeiß ich.
Süße Kerne schluck ich fleißig.
Doch die Schalen, ei, die schmeiß ich
Lieber andern hin,
Weil ich König bin.
Aber seid nicht bang!
Zwar mein Bart ist lang
Und mein Kopf ist dick
Und gar wild mein Blick.
Doch was tut denn das?
Tu keinem Menschen was,
Bin im Herzensgrund,
Trotz dem großen Mund,
Ganz ein guter Jung,
Lieb Veränderung,
Amüsier mich gern
Wie die großen Herrn.
Arbeit wird mir schwer,
Und dann mag ich sehr
Frommen Kindersinn,
Weil ich König bin.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
[Rezension] SCHAURIGE WEIHNACHTEN. Klassische Horror- und Geistergeschichten/ ausgewählt von Jochen Veit
Wenn die Dunkelheit früh hereinbrach, der Wind unheimlich um das Haus heulte und die Schneeflocken wilde Tänze vollführten, dann saßen im England der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem so genannten viktorianischen Zeitalter, die Menschen am Weihnachtsabend gerne am prasselnden Kaminfeuer beisammen und erzählten sich Schauergeschichten. Wurden die Geschichten anfangs nur mündlich weitergetragen, fanden mit der steigenden Popularität gedruckter Zeitungen und Zeitschriften die Gothic Novels eine weitverbreitete Anhängerschaft.
Sieben dieser klassischen Horror- und Geistergeschichten hat Herausgeber Jochen Veit in SCHAURIGE WEIHNACHTEN vereint: Amelia B. Edwards lässt in DIE GEISTERKUTSCHE einen im Schneesturm verirrten jungen Mann in eine unheimliche Mitfahrgelegenheit steigen. Bei Arthur Conan Doyle treibt DER CAPTAIN DER POLE STAR mit seinem unberechenbaren Verhalten seine Besatzung beinah zur Meuterei. In DAS ALTE PORTRÄT von Hume Nisbet verbirgt sich hinter den vielen Farbschichten eines alten Bildes das Porträt einer nach Blut dürstenden jungen Dame. Bei Lettice Galbraith verbirgt DAS BLAUE ZIMMER ein tödliches Geheimnis, dem nur Frauen zum Opfer fallen, die es wagen, dort eine Nacht zu verbringen. DAS OMEN DES SCHATTENS beschwört Edith Nesbit herauf, indem bei ihr das Böse fließend von Schatten zu Schatten husch, um dort ihrem Opfer aufzulauern. DER SEESACK eines Mörders beginnt in der Geschichte von Algernon Blackwood ein höchst gruseliges Eigenleben zu führen. In D.H. Lawrences WER ZULETZT LACHT, lacht niemand am besten. Vielmehr wirkt hier das Lachen äußerst bedrohlich.
Jochen Veit hat hier eine feine Auswahl an Erzählungen getroffen, wo jede ihren Grusel aus einer anderen Quelle bezieht. Dies macht einerseits diese Anthologie so abwechslungsreich, andererseits wird auch gekonnt mit den Ängsten der Leser*innen gespielt, da suggeriert wird, dass das Grauen überall auf der Lauer liegen könnte. Dabei dienen das Weihnachtsfest und der Winter als Jahreszeit eher nur als atmosphärische Kulissen und nehmen weniger einen entscheidenden Einfluss auf den Ablauf der Geschichten.
Ich mag sehr gerne den Erzählstil der damaligen Zeit, der einen sehr eigenen Sprachduktus aufweist: Da wird mit Andeutungen gearbeitet, Nebensächlichkeiten erregen Aufmerksamkeit, hinter Alltäglichem wird der Horror vermutet. Zudem waren die Autor*innen von Damals durch das Schreiben der Fortsetzungsgeschichten für die bereits erwähnten Zeitungen und Zeitschriften so gut geschult, dass sie ganz genau wussten, was zu tun ist, um sich Folge für Folge die Aufmerksamkeit der Leserschaft zu sichern.
Dabei spielte es für mich keine Rolle, ob ich alles in den Geschichten nachvollziehbar fand: Gerade das Unvorhersehbare, das Unerklärliche, das Irrationale lösten bei mir den größten Schauer aus.
erschienen bei Anaconda / ISBN: 978-3730614044 / in der Übersetzung von Marion Herbert, Heike Holtsch und Jochen Veit
APHO·RI·SI·A·KUM…

[Rezension] Rodolphe (nach Charles Dickens) – SCROOGE. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Estelle Meyrand
Es gibt Geschichten, die tauchen zu gewissen Zeiten immer wieder und wieder auf. Beinah scheinen sie mich zu verfolgen, wobei ich dies in diesem besonderen Fall nicht als unangenehm empfinde. Insbesondere gerade zu dieser Jahreszeit lasse ich mich nur zu gerne von diesem Klassiker der Weihnachtsliteratur in Stimmung bringen. Charles Dickens Märchen über den alten Geizkragen, der durch die nächtlichen Begegnungen mit den Geistern der Weihnacht geläutert am Weihnachtsmorgen erwacht und sein Leben völlig umkrempelt, begeistert mich – egal in welcher Erscheinungsform – immer wieder erneut.
Nachdem bereits drei illustrierte Fassungen dieser wunderbaren Geschichte Einlass in die Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST gefunden haben, fiel in diesem Jahr meine Wahl auf eine Graphic Novel.
Schon beim ersten Durchblättern konnten mich die Illustrationen von Estelle Meyrand für sich einnehmen. Einerseits betonte sie mit ihren gelungenen Figurinen und dem dazugehörigen Setting den märchenhaften Charakter der Geschichte, andererseits vermied sie wohltuend das allzu Niedliche, sondern streute immer wieder dunklere Momente in die Handlung ein. Während Scrooge in seiner deprimierenden Welt aus dumpfen Farben beinah zu versinken droht, leuchten die Farben bei seinen Mitmenschen umso wärmer und fröhlicher.
Genrebedingt rechnete ich natürlich mit Kürzungen bei der Handlung. Allerdings bedauerte ich es sehr, dass in der Konzeption des Szenarios durch Rodolphe die drei Geister der Weihnacht dem Rotstift zum Opfer fielen, und er Scrooge auf seiner Reise durch die Nacht ausschließlich Marleys Geist zur Seite stellte. Gerade Scrooges banges Warten auf die drei Geister, wo jeder von ihnen ein sehr individuelles Erscheinungsbild hat und so jeweils ein anderes Weihnachten repräsentiert, sorgte in der Originalgeschichte für sehr viel Atmosphäre und Dynamik. Die Dialoge erscheinen mir (in der Übersetzung von Tanja Krämling) sehr gelungen und wirken für die jeweilige Person sehr passend und natürlich.
Doch zwangsläufig fehlte der Graphic Novel die emotionale Tiefe, der ich mich beim Original so gerne hingebe: Da überrollen mich meine Gefühle und es kullert dann das eine oder andere Tränchen, was bei der Lektüre der Graphic Novel ausblieb. Ich bin überzeugt, dass gerade für ein jüngeres Publikum SCROOGE die wunderbare Möglichkeit bietet, sich dem Werk eines des bedeutenden britischen Literaten anzunähern.
Auch ich habe mich durchaus gut unterhalten gefühlt, würde allerdings der wunderschönen Novelle von Charles Dickens immer den Vorzug geben. Zumal mit einer der äußerst gelungenen illustrierten Fassungen mir diese Graphic Novel nicht fehlen würde.
erschienen bei toonfish (Splitter) / ISBN: 978-3967927313 / in der Übersetzung von Tanja Krämling
[Glosse] Es klingelt an der Tür…!
„Ich bin ein kleiner König, gib mir nicht zu wenig. Lass` mich nicht so lange steh’n, denn ich muss noch weiter geh’n.“ Mehrere Kinderstimmen leiern die Strophen lieblos herunter. Noch bevor der letzte Ton verklungen ist, werden die mitgebrachten Plastiktüten fordernd vorgestreckt.
„Daaas habt ihr aber toooll gemacht!“ jubelt die Verkäuferin und versenkt Süßes in die Tüten der Kinder. Die drehen sich ohne Dank oder Gruß um und verschwinden im Gedränge der Fußgängerzone auf der Suche nach ihren nächsten Opfern. Ein wenig erinnert mich diese Vorgehensweise an Mafia-Methoden, und ich möchte laut aufschreien „Nein! Das habt ihr eben NICHT toll gemacht!“ und für „nicht toll gemacht“ gibt es auch keine Süßigkeiten! Gebt Euch Mühe, dann gibt es den gerechten Lohn! Wie sollen die Gören von heute das sonst lernen? Was soll nur aus den heutigen Kindern werden? Youtuber? Influencer? Beauty-Blogger?
Wo sind die Zeiten geblieben, in denen Kinder mit kreativ-bemalten Gesichtern, selbstgebastelten Kronen und handgenähten Jutebeuteln von Haus zu Haus gingen und mehrstimmig bei Blockflötenbegleitung 3-5 Weihnachtslieder vortrugen, dann mit dankbarem Blick kauintensive Pfeffernüsse, natürlich gealterte Äpfel aus dem eigenen Garten oder die Vorjahres-Kekse von Oma Hanni in Empfang nahmen. Aus Dankbarkeit/ als Zugabe/ zum Abschied gaben sie noch ein Medley der schönsten Weihnachtslieder zum Besten! Das rührte mein Herz: Da gab ich doch mit Freude gerne und vor allem reichlich!
Doch heutzutage…!!!
So, Schluss damit! Ich mache diesen Wahnsinn so nicht mehr mit! Bei mir gibt es für Nix nichts Süßes mehr.
Ich starte eine radikale Gegenoffensive: Ich habe noch eine alte Ausgabe der Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden. Die werde ich Band für Band an die vorstelligen Gören verteilen. Da schlage ich gleich drei Fliegen mit einer Klappe:
- Bei mir steht die Enzyklopädie nur im Weg und verstaubt.
- Ich tue etwas für die Bildung der Blagen: Vielleicht lernen sie dann endlich, korrekte Sätze auf Facebook, Instagram & Co. zu posten.
- Spätestens nach dem 10. verteilten Band klingeln dank Handy und WhatsApp keine Gören mehr an meiner Tür!
Die restlichen Bände der Brockhaus Enzyklopädie schenke ich dem unsympathischen Nachbarsjungen: Er feiert im Mai nächsten Jahres seine Konfirmation!
Alles Gute zum Nikolaus! 😏
[Rezension] MEINE LIEBSTEN WEIHNACHTSGESCHICHTEN/ herausgegeben von Dirk Böhling
Im Mai dieses Jahres stand Dirk Böhling noch als Prof. Henry Higgins im Musical MY FAIR LADY auf der großen Bühne des Stadttheaters Bremerhaven, nun macht er sich auf den Weg, um die kleineren Bühnen zwischen Bremen und Bremerhaven (und alles, was drumherum liegt) zu erklimmen und das Publikum mit seiner musikalischen Weihnachtslesung zu erfreuen.
Passend zu dieser Tournee erschien mit MEINE LIEBSTEN WEIHNACHTSGESCHICHTEN ein Buch mit 40 Geschichten und Gedichten. 40 Beiträge auf (netto) 100 Seiten verteilt: Das nenne ich mal ein sportliches Unterfangen. Zwangsläufig zogen in dieser Anthologie die knappen, kurzen und prägnanten Werke ein: Geschichten, die manches Mal eher wie Anekdoten wirken, sowie launige Gedichte.
Neben vier Geschichten aus seiner eigenen Feder hat Böhling eine namhafte Schar an Literaten in diesem Büchlein versammelt, u.a. Joachim Ringelnatz, Wilhelm Busch, Erich Kästner, Guy de Maupassant, Hans Dieter Hüsch und Charles Dickens. Der Herausgeber ging bei seiner Auswahl auf Nummer sicher, indem er auf weithin bekannte wie beliebte Werke zurückgriff und so auf den Wiedererkennungswert bei der Kundschaft im Buchhandel wie auch bei den Besuchern seiner Weihnachtslesung setzte. Wobei aus diesem Reigen eher heiterer Beiträge die Geschichte DAS GESCHENK DER WEISEN von O. Henry sowohl von der Stimmung wie auch von der Länge hervorsticht und so beinah wie ein Kontrapunkt wirkt.
Leider muss ich dem Verlag attestieren, dass beim Korrekturlesen nicht aufmerksam genug gearbeitet wurde: So schlichen sich einige kleine Fehler ins Buch, wie beim Einsatz von kursiver Schrift oder beim Versmaß bei einem Gedicht. Doch wahrscheinlich fällt dies nur mir als Vor-Leser und pingeliger Bücher-Nerd auf.
Als Vor-Leser und pingeliger Bücher-Nerd hätte ich mir allerdings sehr gewünscht, dass Dirk Böhling als Herausgeber das Wagnis eingegangen wäre und mich mit dem einen oder anderen weniger bekannten Beitrag überrascht hätte, z.Bsp. mit Werken von Literatinnen, die in dieser Anthologie leider gänzlich fehlen.
So ist dies durchaus ein nettes Büchlein für alle, die ein heiteres Gedicht oder eine kurze Geschichte für die Weihnachtsfeier im Kollegenkreis oder im Sportverein suchen.
erschienen bei Kellner / ISBN: 978-3956514616
[Noch ein Gedicht…] Rainer Maria Rilke – ADVENT
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Rainer Maria Rilke






